„Die Nacht der Barbaren oder die ersten Morgen der Welt“
Französische Tanzcompagnie zu Gast beim zweiten Takeover Wochenende
c Michel Cavalca
Wie Außerirdische sehen sie aus mit ihren Glitzerhelmen, als würden die Könige einer untergegangenen Welt aus tiefem Schlaf erwachen. Nach und nach erheben sich die Männer zu stolzen Siegerposen – und der Kampf beginnt. Zurück zu den „ersten Morgen der Welt“ geht Choreograf Hervé Koubi in den „Barbarischen Nächten“.
Die Choreographie „Les Nuit Barbares“ ist eine kraftstrotzende und doch immer wieder meditative Mischung aus Breakdance, zeitgenössischem Tanz und Akrobatik, mit Ahnungen von Ballett, brasilianischem Capoeira und arabischem Sufi-Tanz. Unter den wirbelnden Derwisch-Röcken erscheinen Jeans und die stolzen Krieger werden zu den rebellischen Kindern der Vorstädte.
Allein die Musik klingt anders: Aus dem mythischen Halbdunkel tönt der Anfang von Richard Wagners „Rheingold“, später lateinische Worte aus den „Requiem“-Kompositionen Wolfgang Amadeus Mozarts und Gabriel Faurés. Dazwischen erklingen dunkle Trommeln, algerische Folklore erfreut mit dem schnarrenden Klang der Zurna, eines alten osmanischen Blasinstruments.
Die Tänzer sind alle rund um das Mittelmeer beheimatet, sie stammen aus Algerien und Marokko, aus Frankreich, Spanien oder Palästina. Viele von ihnen haben den Street Dance tatsächlich auf der Straße gelernt. In seinem Stück fragt sich Hervé Coubi wer eigentlich diese Völker waren, die den Griechen wie den Römern als „Barbaren“ galten. Waren es Perser, Ionier, Skythen oder Babylonier, die Musulmanen? Welche vergessene und ausgelöschte Geschichte unsere Urahnen tragen wir in uns? Zwischen Orient und Okzident gibt es unzählige Arten, als Gesellschaft zu zusammenzuleben. Vielleicht sind die Menschen der Mittelmeerländer viel stärker miteinander verbunden als wir glauben. Koubi zeigt Angst und Triumph, aber auch die Annäherung der Völker. Lange Stöcke bleiben nicht immer Waffen, sie werden zu Ruderblättern und ziehen Furchen, stützen die Schwachen. Am Ende stehen Empathie und gegenseitige Hilfe.
„Es ist eine Geschichte des Weges, alles ist eine Geschichte des Weges“, schreibt der Choreograf über sein Stück und hofft, die Angst vor den Fremden durch die Gemeinsamkeiten der Mittelmeerkulturen zu zerstreuen. Als Franzose algerischer Abstammung gehört Hervé Koubi zu den vielen Tanzkünstlern, die den Hip-Hop der Einwandererkinder, den Tanz der Vorstädte von der Straße auf die Bühne gebracht haben. Koubi promovierte als Pharmakologe, studierte aber dann noch Tanz, von Ballett bis zeitgenössisch. 2010 gründete er seine eigene Kompanie, die heute in Calais residiert. In seinen Stücken greift er immer wieder die Zerrissenheit zwischen Heimat und Fremde auf, die Spannung zwischen virtuoser Bewegung und tiefer Versenkung, das Überwinden der ethnischen, religiösen und kulturellen Grenzen durch den Tanz.