13.02.25

Engelstimme

Ein himmlisches Gemüt braucht man für das Schlusslied in Mahlers vierter Sinfonie – und muss dann wieder teuflisch aufdrehen, wenn Herodes in Paradies ans Werk geht. Christiane Karg kann beides und gilt heute als beste Besetzung für den Part.

Mit fünf wollte sie bereits Opernsängerin werden, noch als Studentin hatte sie gleich zwei Mozart-Debüts bei den Salzburger Festspielen, die sofort als Sensation gewertet wurden. Heute tritt sie in der MET und auf allen großen Bühnen der Welt auf, singt Strauss-Lieder mit Christian Thielemann – und dennoch sagt sie: „Eine ‚Traviata‘ bin ich nicht, eine ‚Mimí‘ auch nicht. Mir ist Eurydike lieber. Nicht die Hauptrolle, aber den ganzen Abend geht es doch nur um sie.“ Wie in Mahlers vierter Sinfonie. Obgleich eine Sängerin da „den ganzen Abend sitzen muss“, was das Nervenkostüm schnell mal überstrapaziert, denn dann heißt es: Man hat nur eine Chance. Ein Lied, und das muss sofort sitzen. Christiane Karg singt es momentan so schön wie kaum eine andere Sopranistin, weshalb etwa die Berliner Philharmoniker ihre letzte „Mahler-Vier“ mit ihr aufgenommen haben. Im Festspielhaus tritt sie mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Andris Nelsons auf. Doch warum geht es „den ganzen Abend nur um sie“? Die Antwort ist einfach: Das Lied ist der Schlüssel zu Mahlers ganzer Sinfonie. Warum etwa beginnt das Werk mit kleinen Glöckchen? Das Lied gibt die Antwort: Es sind die Lämmlein, die von Herodes geschlachtet werden. Mahlers abgründig kindliche Fantasie lässt im zweiten Satz Gevatter Tod auf der Fidel aufspielen und endet im dritten Satz mit einer überwältigenden Lichtvision. Das Schlusslied hingegen muss klingen, als würde einer eine Kerze anzünden: warm, heimelig, dann wieder aufflackernd, wenn die Lämmlein bei Herodes unters Messer kommen. Die Engel wollen schließlich satt werden. Wir hingegen hungern nach dieser außergewöhnlichen Stimme.