Von Tuten und Singen
Die Trompete kann mehr, als man ihr lange zutraute
Überaus reich ist die Geschichte der Trompete, die bis zu den ägyptischen Pharaonen zurückverfolgt werden kann. In Mitteleuropa galt schon zur Zeit der Kreuzfahrer ihr festlicher Ton als unverzichtbar bei Hofe. Nicht weniger als 24 Trompeter wirkten um 1500 am ungarischen Hof. Erst 1831 wurde die ehrwürdige Gilde der Trompeter und Pauker am sächsischen Hof aufgelöst.
In der Kammermusik spielte die Trompete aber nie eine bedeutende Rolle. Zu sehr verband die Tradition das Instrument mit dem Ausdruck höfischer und göttlicher Macht. Noch beim ersten Hören von Gustav Mahlers Sinfonien rümpften Kritiker die Nase angesichts der Verwendung des Instruments für melodische Zwecke.
Auch in der klassischen Bläserkammermusik hatte die Trompete keinen Platz, weder im Quintett noch im Oktett. Obwohl das Instrument spätestens seit der Erfindung des Ventils (1813), das ein sauberes Treffen aller Töne der Tonleiter ermöglichte, auch für die Kammermusik bereit gewesen wäre, ließen die großen romantischen Komponisten wie Mendelssohn, Schumann oder Brahms die Trompete links liegen und überließen es heute vergessenen Komponisten wie Lindpaintner, Kalliwoda, Grimm oder Cacciamani, Kammermusik für Trompete und Klavier zu schreiben. Paul Hindemith begründete noch 1939 seine Entscheidung, Sonaten für diverse Blasinstrumente – darunter auch die Trompete – zu komponieren, so: „Erstens gibt es ja nichts Vernünftiges für diese Instrumente.“ Natürlich stimmte das schon damals nicht mehr ganz, denn bereits 1906 hatte George Enescu seine „Légende“ für Trompete und Klavier geschrieben. Als Mitglied der Examensjury des Pariser Konservatoriums hatte er seit 1904 mehrmals Stücke für den Abschlusswettbewerb komponiert. Neben Werken für Flöte, Bratsche und Harfe trat auf diese Weise eine der wichtigsten Kompositionen für Trompete im 20. Jahrhundert ans Licht, die mit impressionistisch anmutenden Klangfarben ebenso glänzen darf wie mit Virtuosität. Enescu widmete das Werk dem Trompeten-Professor Merri Franquin, der unter anderem mit seiner Trompetenschule maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Trompetenspiels genommen hat. Für denselben Zweck – Prüfungen am Pariser Konservatorium – schrieb Arthur Honegger 1947 seine „Intrada“, die im selben Jahr als Probestück für den renommierten Musikwettbewerb in Genf ausgewählt wurde.
Auch 2025 ist sie wieder eins von zwei möglichen Stücken zur Vorauswahl der Trompetenbewerber beim ARD Musikwettbewerb. Honegger hat hier ganz tief in die Tradition gegriffen, wie schon der Titel „Intrada“ verrät – so hießen die Eingangsstücke für musikalische Feste und Suiten im 16. und 17. Jahrhundert, die oft von Trompeten gespielt wurden. Und mit typischen, langen Maestoso-Passagen wird die Intrada dann auch gerahmt.
In der Tradition solcher Auftragswerke steht auch Dani Howards „Continuum“ für Trompete und Klavier, das für das Barbican Centre, das Konzerthaus Stockholm und die Organisation Europäischer Konzerthäuser (ECHO) komponiert wurde und Matilda Lloyd gewidmet ist. Howard teilte über sein neues Stück mit, es „erkunde das Vergehen der Zeit in drei kontrastierenden Sätzen“, wobei der erste Satz im rasend schnellen 5/8-Takt mit 152 Achteln pro Minute „die Geschäftigkeit und das schnelle Tempo des täglichen Lebens mit einem unerbittlichen Gefühl der Monotonie“ nachahme. Im langsamen zweiten Satz überwiegen lang gehaltene Töne in der Trompete das Geschehen, die sehr ausdrucksstark zu spielen sind und mit verschiedenen Klangfarben und unterschiedlichen Formen des Vibratos ausgeziert werden sollen – nach Belieben des Interpreten. Eine flinke Zunge fordert dann der walzerartige dritte Satz im 6/8-Takt, in dem das „Wiegende“ immer wieder durch harmonische Verschiebungen konterkariert wird und der „mechanische und metronomische Klavierpart im Widerspruch zu den ausdrucksstarken Trompetenlinien“ steht.
Wie gut die Trompete auch für Kammermusik geeignet ist, demonstriert Matilda Lloyd aber ganz besonders durch drei Lied-Bearbeitungen. 2023 hat sie bereits eine CD mit Opernarien vorgestellt, für Baden-Baden wählte sie überaus passend zwei Lieder der französischen Sängerin und Komponistin Pauline Viardot aus. Die legendäre Künstlerin, zu deren Fans Berlioz, Meyerbeer, Liszt (dessen Schülerin sie war) Wagner und Heinrich Heine zählten, war nach dem Ende ihrer Karriere 1863 nach Baden-Baden gezogen, wo sie in einem privaten kleinen Opernhaus zahlreiche Konzerte veranstaltete. Unter anderem konnte man hier 1867 ihre Operette „Le dernier sorcier“ auf einen Text Ivan Turgenjews hören. Mit dem russischen Schriftsteller verband sie und ihren Ehemann eine überaus interessanteste Dreiecksgeschichte. Aus dieser Operette stammt ihr „Chanson de la pluie“. In der Rolle des Zauberers Krakamiche wirkte damals der Maler, Dichter und Sänger Loius Pomey mit, der später den Text zu Viardots „Havanaise“ beisteuerte. Und sogar Gabriel Fauré fügt sich in diese engen Bande, denn mit ihm war Viardots Tochter Marianne verlobt. Sein op. 1/1 „Le papillon et la fleur“ hatte er allerdings schon mit sechzehn komponiert.
Klemens Hippel